Die Klägerin erwähnte dem Beklagten gegenüber zwar, ihm verziehen zu haben. Die Verzeihung im Sinne des Ehegesetzes setzt nach der Rechtsprechung aber nicht nur die seelische Überwindung der erlittenen Kränkung, sondern auch den Willen voraus, trotz dieser die Ehe mit dem schuldtragenden Ehepartner fortzusetzen. Dieser Wille muss vom gekränkten Teil auch dahin geäußert werden. 

Bei einer Gegenüberstellung der Eheverfehlungen der Klägerin, nämlich der Zurechtweisungen vor Freunden und Bekannten, der Ablehnung des Geschlechtsverkehrs sowie, dass sie ihn im Glauben ließ, dass eine Fortsetzung der Ehe noch möglich sei, mit dem Ehebruch des Beklagten, treten erstere deutlich in den Hintergrund, weshalb die Ehe zu Recht aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden wurde.

LG für ZRS Wien am 22.02.2021, 48 R 4/21z

Anmerkung: Der OGH hatte (u.a.) am 24.04.2019 zu 7Ob21/19t im dortigen Verfahren die Ehescheidung aus gleichteiligem Verschulden trotz auch dortigen Ehebruchs eines Teils ausgesprochen, weil wiederholte grundlose Beschimpfungen oder überhaupt die Verletzung der Verpflichtung zur anständigen Begegnung zwischen den Ehegatten ebenfalls eine schwere Eheverfehlung begründen. Die Entscheidung der Verschuldensfrage lässt sich daher so gut wie nie im voraus vorhersehen, sondern hängt immer von den Umständen des Einzelfalles und deren Gewichtung durch das Gericht ab.