OGH vom 19.11.2014, 3 Ob 195/14v

Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung einer Obsorgeentscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaats (hier: Italien) ist der Anerkennungsstaat (hier: Österreich) nicht an die Angaben gebunden, die in der Bescheinigung nach Art 23 lit b Brüssel IIa-VO enthalten sind. 

 

Die sogenannte „Bescheinigung“ wird vom Ursprungsgericht (Italien) ausgestellt und ist (ua.) bei der Anerkennung der ausländischen Entscheidung (in Ö) erforderlich. Die österreichischen Gerichte können die italienischen Angaben in der „Bescheinigung“ nachprüfen und Beweise eigenständig beurteilen.

 

Nach der Brüssel IIa-VO liegt ein Anerkennungsversagungsgrund vor, wenn im Obsorgeverfahren das Kind nicht gehört wurde und dadurch wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Anerkennungsstaats verletzt sind. Das Gehör ist nach dem Recht des Anerkennungsstaats (Österreich) zu beurteilen. 

 

Nach österreichischem Recht kommt dem ernsthaften Wunsch eines verständnisfähigen Kindes, bei einem Elternteil zu leben, im Obsorgeverfahren erhebliche Bedeutung zu. Ab dem 12. Lebensjahr ist diesbezüglich eine ausreichende Urteilsfähigkeit anzunehmen. Das Kind ist daher anzuhören!

 

Im vorliegenden Sachverhalt wurde der betroffene 12-jährige im Zuge des italienischen Obsorgeverfahrens nicht angehört bzw. befragt.

 

Dies stellte einen Anerkennungsversagungsgrund dar.